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No 5

Bis Anfang Dreißig bin ich in meinen Beziehungen hauptsächlich rumgesteuert. So würde ich es nennen. Verblendet und geprägt von Beziehungsmodellen, die wir durch die eigene Sozialisierung unhinterfragt reproduzierten.

So, wie es die Eltern machten (oder eben auch nicht), die Filmheld:innen bis zum ersten Kuss oder die Menschen in der näheren Umgebung – es geht schon irgendwie, machen ja alle.


Aber was eine gute Beziehung ausmacht, wie das geht und was ich darunter verstehe, habe ich damals einfach nicht gefragt. Die Verliebtheitsphase reichte mir als Bestätigung der Verheißung auf Glückseligkeit und Ganzheit. Und so durfte ich einige Erfahrungen machen mit tollen Menschen.


Irgendwas wollten wir voneinander, ohne zu wissen, was genau.

Nach der anfänglichen Verlockung, den Weg gemeinsam zu gehen, hatten wir keine Ahnung, wie wir mit den Dämonen umgehen, die uns auf dem Weg begegnen sollten.

Dämonen, die nur zu diesen Fratzen geworden sind, weil sie zu lange in der Dunkelheit hocken mussten: alte Beziehungswunden aus den frühen Kindertagen, die die Bindungsfähigkeiten beeinflussten und nun durch das Licht einer jungen Liebe, die das Herz öffnet, eben auch beschienen werden.

 

Als Kind und Heranwachsende habe ich im Zirkus der Emotionen leider keine Einweisung in die Kunst des Dämonen-Domptierens erhalten. Und so war ich in den meisten Fällen so verschreckt, dass ich den Weg nicht weiter gegangen bin.

 

Meine längste und schmerzhafteste Beziehung war zugleich die Lehrreichste. Unsere Dämonen haben wir aus eigener Kraft nicht mehr gebändigt bekommen und die Bereitschaft, Hilfe anzunehmen, kam an einem gewissen Punkt zu spät. Es war schon zu viel Hoffnung zerbrochen, zu viel Respekt verloren gegangen, zu viel Würde erniedrigt und zu viele Grenzen überschritten. So musste ich einen harten, aber notwendigen Cut für mich machen, um mit dem nötigen Abstand meine Anteile ansehen zu können: meine co-abhängigen Muster, meine manipulativen Versuche, Bedürfnisse zu erfüllen, meine Sehnsucht nach Validierung von Außen, mein Rechthaben wollen, meine Kontrollsucht, meine fehlende Dankbarkeit, meine innere Unzufriedenheit, meine Ahnungslosigkeit, was ich mit meinem Leben neben dem Muttersein überhaupt anfangen will, mein Sehnen nach Tiefe und Verbindung und Sinn…

 

Mir war glasklar, dass, wenn ich mich wieder auf jemanden einlassen sollte, diese Person eine riesige Bereitschaft zum Forschen mit sich selbst sowie an der Beziehung als Forschungsgegenstand mitbringen musste und deshalb Bock haben musste auf reden reden reden. 

 

Wie bestellt und express geliefert, durfte ich mich in der Verbindung bis Mitte 30 eingehend mit der präsenten Frage in mir Was ist eigentlich Beziehung? beschäftigen und widmete mich dem Wofür verbindet man sich, wenn die gängigen relationshipgoals (Zusammenziehen-Hochzeit-Kinder-Haus) von Anfang an ausgeschlossen werden.

 

Einen Teil der Antwort auf diese Frage hatte ich schon mit aus der letzten Beziehung genommen und für mich salopp als


wir triggern uns gegenseitig die Scheiße aus dem System 


formuliert. Wenn man dann aber leider keine Vereinbarungen, Regeln und Werkezuge oder Kapazitäten hat, die Scheiße angemessen aufzuwischen, nutzt diese Erkenntnis herzlich wenig.


Von daher habe ich meine Ansprüche, Visionen und gewünschten Umgangsformen an eine Beziehung schriftlich formuliert und mit dem nächsten Partner abgestimmt. Beziehung sollte der sichere Rahmen sein, in dem Wachstum und Forschung möglich ist.

 

Hier konnte ich bereits meine Leidenschaft für Rituale ausleben, indem wir uns in größeren vereinbarten Abständen ein Wochenende Zeit nahmen, um abzugleichen und einzuchecken, wie die Beziehung lief, läuft und ob und wie sie weiter laufen sollte.


„Wir sehen einander als Spiegel, der uns unsere persönlichen Verletzungen und Traumata zeigt und wir uns so einander auf dem Weg der Heilung unterstützen, ohne einander als Therapeut:in zu missbrauchen. Wir sind achtsam gegenüber unbewussten Mustern und begegnen diesen mit radikaler Ehrlichkeit, um nicht in Scheinsicherheiten zu leben und Dynamiken zu befeuern, die uns daran hindern, die wahren Gründe unserer möglichen Verletzung zu erforschen. Wir wollen Verletzungen als Hinweisschilder betrachten, mit denen selbstverantwortlich umgegangen wird.“

 

Dies ist ein Auszug aus dem 7seitiges Dokument, was mein damaliger Partner und ich der Entscheidung füreinander zugrunde gelegt haben und in dem wir uns intensiv mit den Fragen beschäftigt haben: Was wollen wir voneinander? Warum verbinden wir uns und was heißt das konkret für zwei Teilzeiteltern mit gleichaltrigen Kindern, lebend in zwei unterschiedlichen Städten? (random Konstellationen einsetzbar).

 

Auch wenn es im Grunde nie die absolute Sicherheit gibt, hat uns dieses Konstrukt geholfen, die verletzten Anteile aus schwierigen Vorbeziehungen in uns zu beruhigen und einen stabilen, verlässlichen Rahmen auf Zeit zu spannen, in dem sich geöffnet und gezeigt und geheilt werden kann. Außerdem hat er auch die under pressure Anteile entspannt, die noch ganz disneymäßig das „für immer und ewig“- Denken haben und wir beide nach unseren bisherigen Erfahrungen eine klare Ausstiegsoption brauchten.


Und so haben wir dem WIR einen Zeitraum von 6 Monaten gegeben, um zu den Tag- und Nachtgleichen des Jahres unser Commitment erneut anzugucken, zu evaluieren, anzupassen und wenn alles geklärt war, zu erneuern.

 

Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich den Beginn einer Beziehung bewusst und mit Intention gestaltet.

 

Nach 2,5 Jahren Forschen, Lieben und Leben haben wir es auch gemeinsam wieder aufgelöst. Und das in einem Trennungsritual, wofür wir uns genauso viel Zeit genommen haben, wie für die vorherigen Erneuerungen. 

Die klaren Intentionen für unsere Beziehung wirkten wie ein Katalysator für unsere Reifung und ich bin zutiefst dankbar, ergriffen und staunend, wenn ich mich daran erinnere, wie wir diesen Weg bis zum Ende gegangen sind und uns dann für das Auflösen und die Trennung genauso viel Zeit genommen haben, wie für die vorherigen Erneuerungen.

Ein Wochenende in drei Teilen:

Teil 1 gewidmet dem noch offenen Schmerz, dem Schmerz generell und dessen Ausdruck. Der Dankbarkeit, den Erkenntnissen und dem Wachstum in Teil 2 und einem Trennungs- und Verabschiedungsritual in Teil 3.

 

Ich spreche mich hier aus: dafür Beziehungen NEU und angemessen zu gestalten. Mutig zu sein, bisheriges zu Hinterfragen und in einen (gern auch begleiteten) Austausch zu gehen, um das zu kreieren (zu testen, zu verwerfen und neu zu kreieren), was zu den Menschen, die sich verbinden wollen, passt.


Eine in Liebe gestaltete Trennung – so was hatte ich nun also auch zum ersten Mal erlebt und nicht für möglich gehalten.

Solche Erfahrungen rütteln so richtig schön am Bild: am eigenen Selbstbild, an der bisherigen eigenen Sicht auf Welt und vor allem an den inneren und äußeren Begrenzungen, die zu eng oder zu klein geworden waren…

 

Wie der Elefant aus der Fabel, der als Junges an einem Pfahl festgebunden ist und die Erfahrung verinnerlichte, dass er da eh nicht wegkomme. Der dann wächst und wächst und nun eigentlich viel stärker ist als dieser lächerliche Stock in der Erde. Er aber bleibt.

 

Nur eben, dass in meiner Welt der Elefant es an irgendeinem Tag eben doch mal versucht: diesen Radius seiner gedachten Möglichkeiten zu verlassen oder zumindest einen Schritt über diese Schwelle setzt und sich plötzlich ein ganzer Kosmos in ihm gebiert. Mit all den zaghaften Schritten, dem tiefsitzenden Misstrauen, dass es eventuell nur eine Einbildung sei.

 

Aber eben auch mit Hoffnung und Zuversicht, einer unbändigen Freude, etwas hinter mir zu lassen (ich schreib mal wieder für mich weiter- ich bin ja der Elefant im Bild), was aus der neuen Perspektive doch wirklich eng und klein war. Mit einer kühnen Aussicht und dem Hunger auf das Mehr, was da noch ist.

Nicht aus einem Mangel heraus, mehr zu wollen oder mehr zu brauchen. Sondern von dem süßen Geschmack der Freiheit, der Liebe und dem Aufbruch auf der Zunge gelockt: über mich hinaus zu wachsen, weil es ein natürliches Ziehen gibt von einer Kraft, die dem Leben dient.

 

In dem Bild könnte man leicht der Versuchung erliegen, zu hoffen, dass pure Glückseligkeit auf den Elefanten wartet. Endlich frei, happy end.

 

Nur, dass es dort nun ganz neue Herausforderungen zu meistern gilt, weil dort noch lange nicht das Ende ist (Spoiler. Es gibt gar keins). Er muss also erst mal lernen, sich zu orientieren und andere Muskelgruppen aufbauen, um überhaupt die Beschaffenheit der neuen Wege meistern zu können.

 

Genauso sehe ich mich in meiner jetzigen Beziehung trotz allen Forschens, trotz aller Erkenntnis immer wieder mit meinen Schatten auf neuen unbekannten Ebenen konfrontiert. Gleichzeitig jedoch auch mit einer neuen ungekannten Liebesfähigkeit, die sich durch meinen Mut und das unermüdliche Sehnen und Streben nach Antworten auf die Frage, wie Beziehung gelingen kann, entwickeln durfte.

 

Im Grunde ist es die Frage meines Lebens. Mein Herzschlag, mein Antrieb.


Denn in ihr steckt der Verbindungs- und Friedenswunsch. In ihrer Wurzel verankert sich die Sehnsucht nach dem Einssein mit dem Leben schlechthin. In ihren Blättern sprießen die Möglichkeiten, Trennung zu überwinden und ihre Blüten verheißen die liebliche Verbundenheit, während ihr Nektar den Geschmack von Glückseligkeit und Wonne bereithält.

 

Ich möchte Gärtnerin sein für diese Pflanze und sie in meinem Garten des Lebens hegen und pflegen. 


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