Im Sommer saß ich mit einer Freundin, ihrer Tochter und meinem Sohn in einem Café. Wir haben uns lange nicht gesehen und tauschten uns umgeben von Kaffeetrinkenden sehnend nach Tiefe miteinander aus.
Der Ort und der Rahmen waren dafür nicht wirklich geeignet, doch das haben wir beide leider erst zu spät evaluiert.
Ich erzählte gerade von einem wiederkehrenden Traummotiv, das mich beschäftigte und glaubte, aufgelöst zu haben. Dabei ging es im Grunde darum, dass ich eine liebevolle Beziehung zu einem mir unbekannten Mann hatte, während mir nach einer gewissen Zeit im Traum dann mein Partner aus der Wachwelt erschrocken einfällt und ich befürchtete, ich habe unsere wunderschöne Beziehung gefährdet. Es wäre jetzt ganz logisch alles vorbei, weil sie ja offensichtlich nicht sooo schön sein kann, wenn ich sie vergesse und er ziehe daraus seine völlig nachvollziehbaren Konsequenzen. Nach dem Aufwachen war ich immer völlig fertig und wirklich froh, dass es nur ein Traum war. Gleichzeitig waren da große Fragezeichen, schienen mir doch die bloße Verbildlichung meiner Verlustängste zwar anteilig vorhanden, aber nicht Hauptmotiv zu sein.
Ich träumte ihn bestimmt drei Mal seitdem ich diesen Mann liebe.
An diesem Tag machte es dann also klick. Mit dieser noch ganz zarten frischen Erkenntnis in mir, die zwar gern raus, aber irgendwie auch noch beschützt werden wollte, erzählte ich meiner Freundin von meinem Glühbirnenmoment und ignorierte das Schutzbedürfnis in mir.
Während ich mich also meiner These hingab, dass diese sich liebevoll anfühlende Traumbeziehung keine Konkurrenz zu meinem Partner darstelle, sondern meine Beziehung in mir selbst mit meinen männlichen Anteilen verbildliche, mit denen ich offensichtlich mittlerweile etwas Stabiles und Zärtliches aufbaue und ich nun langsam verinnerliche, dass ich als Frau erst mit meinen integrierten weiblichen und männlichen Aspekten eine erfüllte Partnerschaft mit einem anderen Mann/Mensch haben kann, weil ich diese Anteile nicht mehr im Außen suche, sondern in mir vereine und Abhängigkeiten von einer Beziehung zu einem Mann dadurch gelöst und Beziehungen, so wie ich sie kenne, auf ein ganz neues Level gehoben werden,...
…unterbricht mich mitten im Wort ein Mensch am Nebentisch. Mit einem freundlichen, zugewandten Gesichtsausdruck fragte er, ob er dazu etwas sagen dürfe.
Jetzt kommt dieses Geräusch, wenn bei Schallplatten die Nadel mitten im Lied über die Platte kratzt. Ich war total perplex.
Die Domina in mir (aka die Frau, die weiß, was sie sich wert ist, einen F* darauf gibt, was andere denken), schickte mir die einzig angemessene Antwort und ihre dazu passende Energie gleich mit.
Er beteuerte, dass es wirklich etwas ganz Schönes sei, was er zu sagen habe und super zu dem passe, was ich eben teilte. Jetzt war es schon schwerer in dieser Energie zu bleiben, allerdings wollte ich meinem NEIN nicht so leicht die Kraft entziehen und meine Entscheidung respektieren, obwohl ich auch neugierig war und sich bereits andere Anteile in mir meldeten, die hektisch mit den Armen ruderten und diese typsichen Zeichen mit den Händen vor dem Hals machten, als würde der gleich durchgeschnitten.
Ich entgegnete, dass er jetzt aushalten müsse, dieses „Schöne“ für sich zu behalten und drehte mich wieder die Viertelumdrehung zu meiner Gruppe.
Heiß im Kopf und die Zeit stand still.
Mein Sohn schaltete sie wieder an, indem er sagte „Mama, das war aber sehr unhöflich.“
Und dann lief sie schneller als vorher. Ich hörte das Blut in mir rauschen und die gestikulierenden Teile in mir wurden ruhig. Sie hatten lediglich diesen Gesichtsausdruck von „hate to say I told you so“ aufgesetzt, mit diesen hochgezogenen Augenbrauen.
Und eine alte Bekannte kam zu Besuch: die Scham.
Mir war die ganze Freude abhanden gekommen.
Da wir eh fertig mit dem Kaffee waren standen wir auf, verließen das Café und setzten uns auf einen Brunnenrand, um zu reflektieren, was eben passiert war. Es war mir so mega unangenehm, jemand freundlich wirkenden ein so klares Nein zu geben und noch unangenehmer war es, dafür hinterfragt zu werden.
Ich fing an, mir zurechtzureden, wo ich mich fehlverhalten hatte (#classic): über intime Themen in einer Öffentlichkeit zu teilen, in der der nächste Sitzplatz zum Nachbartisch keine 50cm entfernt ist, zum Beispiel. Oder wie ich das Nein hätte in einer Ich-Botschaft höflicher ausdrücken können. Oder gar in die Selbstoffenbarung gehen, um mich zu zeigen, in meiner Verdutzheit darüber, mitten im Wort unterbrochen zu werden und wie unhöflich ich das fände. Ich suchte bei mir, weil es sich schrecklich anfühlte, mich in meiner Gruppe nicht angenommen zu fühlen.
Die Teile in mir mit dem nervigen Gesichtsausdruck wären am liebsten zurückgegangen und hätten sich entschuldigt. Aber das kam nicht in Frage, denn wenn Höflichkeit hier der Wert wäre, den ich verletzte, dann wäre das Unterbrechen Unhöflichkeit schlechthin.
Ich hatte schlicht kein Interesse daran, dass mir ein Mensch irgendwas zu meinen Erkenntnissen humansplained. Ich wollte einfach gar nichts von ihm wissen, denn ich wollte mich ausschließlich meiner Freundin mitteilen.
Wir saßen dann noch eine Weile zusammen und ergründeten Grenzgebiete. Dabei haben wir festgestellt, dass die Grenzziehung schon eher meinerseits stattfinden hätte können. Nämlich als sie mir die Frage nach meiner Beziehung stellte und ich diese wahrhaftig beantworten wollte, obwohl ich den Raum, in dem wir waren, als sehr unsicher einstufte. Zwangsläufige Unterbrechungen von den Kindern und Kellner:innen oder eben unerwartetet von übergriffigen Nachbarn waren eine denkbare Möglichkeit.
Weil ich es jedoch wichtig und wertvoll finde, meinen Herzensmenschen stets ehrlich und aufrichtig zu antworten und mich zu zeigen, obwohl ich merkte, dass der Raum dafür nicht gegeben war, ziehe ich die Verantwortung in the first place zu mir: nämlich an dem Punkt, an dem ich ihr hätte mitteilen müssen, dass ich für dieses Thema gerade keinen angemessenen Raum sehe.
Ich habe den Menschen 2 Wochen später wieder getroffen und ihm angeboten, in Ruhe über dieses Ereignis zu sprechen. Wir verabredeten uns für 11 Uhr am Folgetag in dem Café des Geschehens. Er kam nicht.
Meine Intention war, ihm an meiner Welt teilhaben zu lassen, um ihm ein Spiegel anzubieten und gleichzeitig auch eine mögliche Verletzung seinerseits durch meine klare Kante mit auf den Tisch zu packen. Also im Grunde hätte ich gern eine Brücke geschlagen. Es fällt mir schwer, die Sicht mancher feministischer Strömungen konsequent umzusetzen, dass es eben nicht mehr Aufgabe der Frauen sei, aufzuklären und ich erkenne meine große Sehnsucht darin, einfach nur verstanden werden zu wollen. Es gibt diesen Teil in mir, der dieser Klarheit, die auch eine gewisse Härte in sich birgt, nicht ganz vertraut. Die Frage, die sich mir hauptsächlich stellt, ist, wie eine erfolgreiche Verständigung gelingen kann?
Und vielleicht braucht es dazu eben eine Pionierinnenschaft, die die unliebsame Aufgabe hat, klare Grenzen zu setzen. Eben weil das schon genug Kraft kostet, als sich zusätzlich noch mit dem Erklären des Warums und dem Abholen auseinander setzen zu müssen.
Wem gehören denn die Gefühle? Wer hat die Verantwortung mit dem Gefühl von Zurückweisung und Scham am Ende umzugehen? Immer der:die, der:die sie fühlt. Und dann kann ich auch die Reflektion erfolgen, warum sie da sind. Was in meinem Denken und Verhalten hat dazu geführt, dass sie jetzt da sind und wie gehe ich damit adäquat um? Das sind Fragen, die sich am Ende jede:r selber stellen muss.
Dann darf ich mich, bevor ich mich um seine (unterstellten) Zurückweisungsgefühle kümmere, erst mal meinem Prozess widmen und erkennen, dass ich Part des Problems bleibe, wenn ich mich unterbrechen lasse. Dass ich Part des Problems bleibe, wenn mir mein Sohn dabei zusieht, wie ein Mann eine Frau (und ich meine auch ein Mensch einen Menschen) mitten im Wort unterbricht und das normal zu sein scheint. Dass ich Part des Problems bleibe, wenn ich mein Unbehagen runterschlucke, freundlich lächele und zulasse, wie mir jemand meine innere Welt erklären möchte.
Und dann darf ich mir auch angucken, dass diese Pionierinnenarbeit echt schmerzhaft und ätzend ist, weil eben keine:r* (außer meine Domina) am Straßenrand steht und mir high fived. Weil sich Zurückweisungen im ersten Moment als Ausführende beschissen anfühlen. Beschissener tatsächlich als das seltsam bekannte Engegefühl, wenn ich mich selbst verraten habe, aber ich gewohnt bin nach einer zugelassen Grenzüberschreitung einfach zu ertragen.
Wie Anfang des Jahres in einem Copyshop, als ich einen Auftrag abhole und der Verkaufende mit einer zuckersüßen Stimme auf mich zu und mir viel zu nahe kommt, meine Hände greifen will und das einzige, was ich zustande bringe, ist sie wegzuziehen. In solchen Momenten, in denen alles so schnell geht, falle ich in einer Art Starre und dissoziiere aus meinem Körper. Wie bei der Frauenärztin, die ohne viel Brimborium das Spekulum reinschiebt. Aushalten. Luft anhalten und hoffen, dass es schnell vorbei geht.
Uff. Einatmen. Ausatmen.
Mit einem Nein fängt es an.
Die Veränderung.
Auch wenn das am Anfang eventuell etwas zu grob oder zu heftig rauskommt. Das gehört dazu. Aber es ist wichtig. Denn ich habe die volle Verantwortung für meine Grenzen und diese in erster Linie wahrzunehmen und zu respektieren beginnt bei mir. Ich kann mich nicht die ganze Zeit übergehen und dann hoffen, dass Andere sehen, was nicht in Ordnung ist. Nicht nach 10.000 Jahren Patriachat und Gewohnheitsrecht. Das erfordert einen großen Umgewöhnungsprozess- für uns alle.
Mit einem Nein fängt es an.
Es geht mir nicht um Fronten und Recht haben. Sondern um ein würdevolles Miteinander, sowie das Wahrnehmen der Privilegien, die für uns Frauen erkämpft wurden. Denn ich muss keine Sanktionen erfahren, ich kann mich ausdrücken und ausleben hier in diesen Breitengraden. Und das verdanke ich ebenfalls Pionierinnen, die ihre inneren Gefühle ausgehalten und mit sich oder ihren Gefährt:innen ausgemacht haben. Es ist meine Pflicht, diesen Weg weiter zu gehen und die neuen Herausforderungen anzugehen, die es auf dem Pfad des Friedens und der Gleichberechtigung zu bewältigen gilt. Am liebsten im Miteinander.
Mit einem Nein fängt es an.
Bis irgendwann genau diese Antwort keine Rechtfertigungen oder Gekränktheiten nach sich zieht, sondern ein ehrlich gemeintes und schlichtes Danke.
Kommentare